Sportler des Jahres - August 2024

Gold-Reiter Kukuk mit perfektem Plan

Christian Kukuk ist ein Kopfmensch. Der Springreiter neigt dazu, Situationen genau zu analysieren und sich Gedanken über Details zu machen. Als es in Versailles darum ging, „den schwersten Parcours“ seiner bisherigen Karriere zu meistern, da kam das dem 34-Jährigen entgegen. Mehrmals war er vor dem Finale der Einzelwertung dieser Olympischen Spiele den Weg zwischen den Hindernissen abgegangen, hatte sich ausgerechnet, wie er diesen mit seinem 14 Jahre alten Wallach Checker am besten meistert, welche Linie die beiden mit wie vielen Galoppsprüngen absolvieren sollten. Im Kopf sei er den Ritt auch noch ein paarmal durchgegangen. Was kurz darauf geschah, das hat Kukuk bei all seinem Hang zum Ausklügeln dennoch nicht oft erlebt: Sein Plan ging zu 100 Prozent, "von Sprung eins bis Sprung 15", auf.

Im Stechen der drei fehlerfreien Paare des ersten Umlaufs behielt der Riesenbecker mit seinem routinierten Partner die Oberhand, blieb als Einziger noch einmal ohne Abwurf und verwies so den Schweizer Steve Guerdat und den Niederländer Maikel van der Vleuten auf die weiteren Podestplätze. Der Triumph bedeutet das erste Einzelgold für einen deutschen Springreiter seit dem Erfolg von Ulrich Kirchhoff auf Jus de Pommes in Atlanta 1996.

Dem frisch gekürten Olympiasieger war diese „lange Durststrecke“ nicht klar. „Umso schöner, dass ich sie jetzt beenden konnte“, sagte er. Vom ersten Tag im Königlichen Park an habe er ein gutes Gefühl gehabt, das auch nicht wich, als es im Teamwettbewerb für die deutsche Equipe nur zu Platz fünf reichte.

Kukuk und Checker, das hat von Anfang an gepasst. Nach 40 Minuten Probereiten war der Angestellte von Barcelona-Olympiasieger Ludger Beerbaum vor drei Jahren aus dem Sattel des Pferdes gestiegen, das lange im Stall von Bundestrainer Otto Becker beheimatet war, und erklärte, diesen Vierbeiner sollte man unbedingt mitnehmen. „So einen Moment vergisst man nicht“, sagte Kukuk. „Da war sofort ein Gefühl da, und ich habe gemerkt, da ist besonderes Potenzial.“

Relativ schnell stellten sich Erfolge ein. Doch das Niveau, auf dem sich das Duo jetzt bewegt, erreichte es kurioserweise erst nach einer kurzen Trennungsphase. Vor eineinhalb Jahren hatte Checker wegen einer Verletzung pausieren müssen. Beerbaum brachte ihn in den Sport zurück, weil Kukuk zu dem Zeitpunkt auf Turnieren hochbelastet war, die nicht zu einem Rekonvaleszenten passten. Seit die beiden wieder zusammenkamen, „sind wir in Checkers eigentlicher Liga unterwegs“, so der Reiter. „Das hat er hier eindrucksvoll bewiesen.“

Checker sei sehr intelligent, ein Pferd, das merke, wann Leistung zu zeigen wirklich wichtig ist. Bei den Spielen sei er von Beginn an „voll bei der Sache“ und hochmotiviert gewesen. Dass die beiden dennoch nur auf Rang 24 ins Finale der besten 30 einzogen, habe an einem „dummen Fehler“ gelegen und zeige nur, wie eng es in der Weltspitze zugeht.

Dass Kukuk sich auf Checker verlassen kann, verdankt er auch der populären Reitsport-Mäzenin Madeleine Winter-Schulze und FC-Bayern-Profi Thomas Müller, denen das Pferd mittlerweile gehört. Kukuk selbst lief als Kind auch lieber als Torjäger über den Rasen, statt im Sattel zu sitzen. Aber als der Spross einer Warendorfer Pferdesportfamilie seinen Vater als Helfer zu Turnieren begleitete und nicht aufhörte, die Auftritte des Älteren zu analysieren und ihn zu korrigieren, sagte dieser, er solle es doch erst mal besser machen. Der Spross zeigte sich folgsam und ist jetzt Olympiasieger. 

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Salut Angie, Laura, Timo – und Merci

Auf einen ganz kurzen Nenner gebracht lautet der olympische Epilog: Salut Angie, Laura & Timo. Drei ganz Große des deutschen Sports haben in Paris ihre Karrieren beendet. Da flossen viele Tränen. Aber vor allem huldigt die Sport-Community dem Trio, dessen Performance an der Seine so viel Aufsehen erregte. Man hätte ihnen ein Happy End gewünscht – aber dazu an anderer Stelle mehr.

Angelique Kerber (36) hatte ihre Entscheidung bereits vor den Sommerspielen bekannt gegeben. Das erleichterte ihr den Auftritt im Sand-Imperium von Roland Garros. Bis ins Viertelfinale kämpfte sich die Kielerin, mal auf dem Court Philippe Chatrier, dann wieder auf dem abgelegenen Außenplatz 14 – alles unter sengender Sonne. Sie kämpfte wie immer während ihrer außergewöhnlichen Laufbahn mit drei Grand-Slam-Titeln. Zweimal wurde sie in Baden-Baden (2016, 2018) als „Sportlerin des Jahres“ auf der Bühne des Bénazetsaals gefeiert.

Gegen die spätere Olympiasiegerin Qinwen Zheng, 15 Jahre jünger, wäre ihr fast ein last-minute-Coup gelungen, die Chinesin benötigte den Tie Break des dritten Satzes, um den Widerstand ihrer Gegnerin zu brechen. Der TV-Co-Kommentatorin Andrea Petkovic versagte die Stimme. Angies letzter Akt auf dem Tennisplatz war nichts für schwache Nerven.

Laura Ludwig wollte unterm Eiffelturm ein neues Olympia-Märchen erleben. In Rio 2016 war sie mit ihrer Partner Kira Walkenhorst im Beachvolleyball unschlagbar – die Beiden rückten eine spektakuläre Sportart, auf Sand, im Bikini, mit euphorischen Fans, in den Fokus. 2016 und 2017 wurde das Duo zur „Mannschaft des Jahres“ gewählt – im Corona-Jahr 2020 nahmen sie die Auszeichnung als „Legenden“ entgegen. Momente fast für die Ewigkeit. Und jetzt zog die 38-jährige Hamburgerin, in Paris mit Louisa Lippmann den Schlussstrich „Jetzt zählt die Familie“, sagte sie im Deutschen Haus – vorher hatten ihr Ehemann und die beiden Söhne bei 35 Grad (im Schatten, den es im Beachvolleyball-Stadion nicht gab) mitgefiebert.

Timo Boll (43) will nun noch etwas in der Bundesliga spielen – die internationale Karriere an der Tischtennis-Platte ist zu Ende. Als Rekord-Europameister, der vier Team-Medaillen bei seinen sieben Olympia-Teilnahmen gesammelt hatte, sagt der Odenwälder Servus. Als Athlet ohne Fehl und Tadel, stets ein Vorbild, immer seriös, nach zig Verletzungen zurückgekehrt. Die Zuschauer in der Paris Arena Sud skandierten „Timo, Timo“. Bei der Sportler-Wahl erreichte er fünfmal das Podium, 2007, 2008, 2010 jeweils als Zweiter. Wie es weitergeht, weiß der Zelluloid-Virtuose noch nicht. „Mal sehen“.

Doch erstmal gilt es gemeinsam das olympische Kehraus zu verdauen. Wohl alle hätten Angie, Laura & Timo ein finales Hurra mit Medaillenglanz gegönnt und gewünscht. Das blieb verwehrt: Tennis-Viertelfinale, Vorrunden-Aus im Beachvolley, Tischtennis-Niederlage gegen Schweden als abschließender Eindruck. Da half das Daumendrücken der ganzen Nation nicht. Leider. Aber DANKE, ihr Drei.     

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Goldene Schlusssekunden im „kleinen“ Basketball

Als das Finale im Stadion am Place de la Concorde vorbei war, schauten sich die vier deutschen Basketballerinnen des 3x3-Teams schweigend an. Kein ausgelassener Jubel, kein Freudentänzchen über den kleinen Platz, kein Emotionsausbruch, so wie es normal gewesen wäre für frischgebackene Olympia-Siegerinnen. „Wir mussten das erst einen Moment sacken lassen“, sagte Sonja Greinacher. Langsam kam die Gewissheit, etwas Außergewöhnliches erreicht zu haben - und zugleich Historisches. Noch nie zuvor hatte eine deutsche Basketball-Mannschaft bei Olympia eine Medaille gewonnen, und nun war es gleich Gold.

Bei der Siegerehrung kämpfte Svenja Brunckhorst mit den Tränen. Für die 32-Jährige war das Finale gegen Spanien, dieser 17:16-Sieg das letzte Spiel ihrer Karriere. „Ich hätte mir das nicht besser erträumen können“, sagte sie. Und neben der Goldmedaille nahm sie noch ein Erinnerungsfoto mit dem besten deutschen Basketballer der Geschichte, Dirk Nowitzki („Sportler des Jahres“ 2011), mit nach Hause. „Ein perfekter Moment“, fand Brunckhorst. 

Nowitzki gehörte zu den ersten Gratulanten, als Greinacher, Brunkhorst, Marie Reichert und Elisa Mevius dann endlich realisiert hatten, was ihnen gerade gelungen war. „Als wir gehört haben, dass er da ist, haben alle Augen ein bisschen gefunkelt“, sagte Brunckhorst. 

Eine zusätzliche Motivation hatte das deutsche Team für das zunächst am späten Nachmittag ausgetragenen Halbfinale und das am Abend stattfindende Endspiel gar nicht nötig. Sie hatten bis dahin sechs ihrer sieben Spiele bei diesem Turnier gewonnen, und fast alle dank guter Nerven in den Schlusssekunden. 

Die vier Spielerinnen zeichne aus, sagte Trainer Samir Suleman, dass sie nie aufgegeben haben. „Auch bei Rückständen haben sie immer weitergemacht.“ Auch im Finale, da hatten die Spanierinnen nach der Hälfte der Spielzeit vier Vorsprung. Dieses Team, sagte Greinacher, „ist so taff“.

Der Weg hatte vor drei Jahren in Hannover begonnen. Mit Blick auf Paris sollte Suleman ein 3x3-Frauenteam aufbauen. Neben Greinacher, Brunkhorst und Reichert gehörte zunächst Luana Rodefeld diesem Kader an. Als Trainingspartnerinnen holte Suleman Nachwuchsspielerinnen dazu, eine davon war Mevius, die in Paris für die verletzte Rodefeld ins Team rückte. Bereits das Olympia-Ticket hatten die Vier in letzter Sekunde errungen. Im entscheidenden Spiel beim Qualifikationsturnier im Mai in Ungarn traf Brunckhorst mit einem Zwei-Punkte-Wurf zum Sieg gegen Ungarn. Am Place da la Concorde war es nun Greinacher, die im Halbfinale gegen Kanada (16:15) und Finale jeweils den entscheidenden letzten Punkt für Deutschland holte. 

An die Seine war die Mannschaft mit dem Ziel gereist, um einen der Plätze im Halbfinale kämpfen zu können. „Wir wollen am Tisch knabbern“ und schauen, ob „ein Keks“ herunterfalle, sagte Suleman zu Beginn. Sie starteten mit einem Coup gegen die USA, den Olympiasieger von Tokio, verlor anschließend knapp gegen Australien. „Da war die Frage, wie gehen wir damit um.“ Die Antwort folgte gegen Gold-Favorit Kanada. „Als wir sie so klar geschlagen haben, war für mich klar, das Turnier kann etwas ganz Besonderes werden.“ 

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Sonnenköniginnen von Versailles

Manche Szene der Olympischen Spiele bleibt in den Erinnerungen mit einem Ausrufezeichen versehen. Weil so unique – wie die Performance der deutschen Dressurreiter im Königlichen Park von Versailles. In Blickweite zum Chateau hatten Veranstalter das Rechteck für die höchste Performance von Reiter/in und Pferd samt imposanten Tribünen aufgebaut. Impressionat - auch weil erst das deutsche Trio Isabell Werth, Jessica von Bredow-Werndl und Frederic Wandres die Team-Wertung gewann und dann Jessica und Isabell im Einzel dominierten: Gold, Gold, Silber. Mon Dieu.

Nicht alle der SdJ-Beobachter in Paris haben schon olympische Dressur-Finals erlebt. Wer im majestätischen Versailles sein durfte, gehörte zu den Gewinnern dieser Jeux Olympiques. Sonne über der Anlage, stilvolles Ambiente. Isabell Werth (auf Wendy), mit achtmal Gold nun erfolgreichste deutsche Olympionikin (bisher die Kanutin Birgit Fischer) aller Zeiten, faszinierte ein fachkundiges Publikum. Die Teamkollegin, schon 2021 in Tokio zweimal auf dem „Thron“, setze einen drauf. Zu französischen Melodien á la „Je ne regrette rien“ von Edith Piaf tanzte sie mit ihrer Trakehner Stute Dalera auf dem feinkörnigen Sand. Neben uns verfolgten bewundernde Zuschauer mit Gänsehaut den Vortrag, der 90,093 Punkte erbrachte. Jessica von Bredow-Werndl (38) könnte mit zwei Premium-Plätzen als „Sportlerin des Jahres“ 2024 die nächste Krönung erfahren. Am 15. Dezember im eleganten Kurhaus von Baden-Baden. Oder: gebührt Isabell Werth (55) aufgrund ihrer Lebensleistung die Ehre? Noch warten in Paris aber noch andere mitfavorisierte Athletinnen des Team D am Start.

Die Stunden zwischen dem Schloss, seinen Gärten und Seen aber bleibt unverwechselbar erhaben. Für die Siegerehrung, manchmal – schon aufgrund der Fülle an Entscheidungen – eher ein Accessoire, rückten Dutzende von Helfern an, um den Parcours in eine blühende Landschaft zu verwandeln. Die Zeremonienmeister von Versailles zelebrierten die Übergabe der Medaillen als unter die Haut gehende Gala. Auf dem Podest standen drei Reit-Frauen der Sonderklasse (Bronze an die Britin Charlotte Fry) als Sonnenköniginnen.

Die Alternative zu prickelnden Hallenshows im Handball, Basketball oder Volleyball – Events der kolossalen Art. Im Park, noch Schauplatz des Modernen Fünfkampfs, umhüllt ein stilvoller Glamour die Paraden. Und die Kiebitze der Hohen Schule applaudieren geradezu huldvoll statt schreiend. Ziemlich aristokratisch.

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Neugebauer vom Newcomer zum Vize-König

Die Frage an Silber-Leo Neugebauer war natürlich nicht ganz ernst gemeint. Ob er beim abschließenden 1500-m-Lauf seines Zehnkampfes auch noch ein bisschen gegrinst habe – wie er sonst mit einem Lächeln durch diese Sportwelt wandelt. Nein, er habe nur gelitten, ausschließlich auf die Hacken seines Widersachers Lindon Victor geblickt, um reagieren zu können.
Ansonsten ist das heiter-lockere Auftreten „ein Teil meiner Art“. Wenn man Spaß habe, gehe vieles leichter – und dann zeigt er beim Überqueren der Stabhochsprung-Latte schonmal Richtung Zuschauer. Sein Headcoach habe ihm geraten, die Freude auch beim härtesten Wettkampf zu bewahren. Und so saugte der 24-jährige Schwabe und Wahl-Texaner die irre Stimmung im Stade de France auf. „Die Stimmung im Stadion und die Fans waren schon irre – und ich habe so mein Ding gemacht“, beschrieb Leo Neugebauer im Deutschen Haus sein Flow an der olympischen Sportstätte vor 75 000 Besuchern.
Jetzt ist er stolz und versteht es „als Ehre“ bei den „Königen der Athleten“ so mitgemischt zu haben. Im vergangenen Jahr bei der Sportler-Wahl in Baden-Baden zum „Newcomer des Jahres“ erkoren, hat sich der Allrounder nun eindrucksvoll zu den ganz Großen katapultiert – bei der Umfrage ist ihm ein Platz auf der Nominierungsliste sicher. Dann wird man sehen. Frank Busemann schaffte es 1996 als letzter deutscher Zehnkämpfer zum Wahlsieger.
Die konkrete Analyse seines Fights um die Medaillen stehe erst nächste Woche an. „Noch ist alles so frisch, aber wenn ich Zuhause bin, werde ich über alles nachdenken.“ Ob sogar Gold drin gewesen wäre? Schließlich lag er bis zur vorletzten Disziplin, dem Speerwerfen, in Front. „Ja, ich war für 48 Stunden in Führung, da ist im Kopf viel los und schwer, bei sich selbst zu bleiben. Wenn doch alle mich schlagen wollen.“
Seit letztem Jahr gehört Neugebauer dem (überraschenden) Fußball-Bundesliga-Zweiten VfB Stuttgart an. Da darf man gespannt sein, wohin der Weg die beiden „Vize-Champions“ führt. Der Silber-Junge will seine Karriere von den USA (Austin) aus fortsetzen. Das Studium der Wirtschaftswissenschaften in der Tasche, kann er auch weiterhin die ziemlich idealen Einrichtungen des Colleges nutzen, um hochprofessionell zu trainieren. Für den nächsten großen Angriff auf die Krone – mit einem dann noch stärkeren zweiten Zehnkampf-Tag. Um ungebremst heiter zu bleiben.

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Zeidler: Mit Leichtigkeit zum Olympiasieg

Die ersten Tränen kullerten schon im Ziel, gleich nach dem Ende des Einer-Finales. Oliver Zeidler nahm die Kappe ab und senkte kurz den Kopf. Ein paar Sekunden verharrte er in dieser Position. Nicht vor Erschöpfung, denn so ein überlegener Sieg kann Kräfte freisetzen. „Ich habe das Finale genossen, und es ist wie im Traum vergangen“, sagte er später, als die Goldmedaille bereits um seinen Hals baumelte. „Es war ein Rennen für die Ewigkeit.“  
Nach diesem ersten Moment des Innehaltens ruderte er noch ein paar Meter die Tribüne entlang, wo Freunde und die Familie saßen, noch immer oder wieder mit feuchten Augen, legte mit dem Boot an und stürmte zu seiner Freundin, die etwas abseits warte. Sofia Meakin ist auch Ruderin, gehörte zum Schweizer Doppelvierer-Team in Paris. Minutenlang hielten sich die beiden in den Armen. Sie sei, sagte Zeidler später, noch immer gerührt, „eine große, große Unterstützung“ gewesen, nicht nur hier in Paris. Sie habe ihm auch im vergangenen Jahr „ein bisschen die Leichtigkeit gegeben, die mir manchmal gefehlt hat“, sagte er und schickte gleich eine Liebeserklärung hinterher. „Sie macht mich einfach glücklich.“
Die Goldmedaille, die erste für einen deutschen Einer seit Thomas Langes Triumph in Barcelona 1992, ist für den sonst nicht zum Überschwang neigenden Zeidler „etwas Besonderes“, wie er feststellte, „denn Olympiasieger sind etwas für die Ewigkeit. Es gibt jedoch noch einen Grund, warum der Triumph im Stade Nautique bei Zeidler für so viele Emotionen sorgte. 
In Tokio 2021 war er als Gold-Favorit gestartet – und ist im Halbfinale ausgeschieden, gescheitert an den widrigen Bedingungen, der fehlenden Erfahrung und wohl auch ein bisschen an der eigenen Erwartungshaltung. Zeidler dachte kurz ans Aufhören, „weil es mir so zugesetzt hat“.  Dann ließ er sich die Olympischen Ringe in den Nacken tätowieren und nahm einen neuen Anlauf. In diesen drei Jahren schwirrte das Olympia-Trauma von Tokio irgendwie immer in seinem Kopf herum. 
In Paris hat ihn aber nichts vom Gold-Weg abbringen können. „Ich habe hier den Zuschauern eine große Show geboten“, weiß Zeidler. Jeden seiner vier Läufe in dieser Woche gewann er überlegen, im Halbfinale stellte er sogar eine olympische Bestzeit auf. Dass das Finale am Samstag um eine Stunde verschoben werden musste, weil der Bus mit dem späteren Silbermedaillen-Gewinner Solotoi aus Belarus auf dem Weg vom Olympischen Dorf zur Ruderstrecke im Osten der Stadt einen Motorschaden hatte, störte die Vorbereitung mit seinem Vater und Trainer Heino Zeidler auf das Rennen nicht. „Wir hatten alle ein gutes Gefühl diesen Morgen, deshalb hat uns das auch die Laune nicht verderben können. Wir sind cool geblieben“, sagte Oliver Zeidler. 
Nach 1000 Metern hatte er die Konkurrenz schon deutlich hinter sich gelassen. „Da habe ich gewusst, das wird heute mein Tag.“ Und es wurde der ganz große Moment des 28-Jährigen, der bei der letzten Wahl „Sportler des Jahres“ als Weltmeister Rang 3 belegt hatte – und den es 2024 durchaus noch weiter nach vorne katapultieren könnte.

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Team D: Mehr als zufrieden bei Halbzeit

Bilanzen sind immer so eine Sache. Olaf Tabor, Chef de Mission des Team D präsentierte im Deutschen Haus sein Fazit der ersten olympischen „Halbzeit“ in Paris. Man sei „mehr als zufrieden“. Da stand Deutschland mit zweimal Gold auf Platz 10 im Nationen-Ranking.
Dann das. Oliver Zeidler holte das dritte Gold. Souverän, als wäre ein Sieg im Einer-Rudern die normalste Sache der Welt. Und hinterher gab er Statements ab, die man schonmal sacken lassen musste. „Ich habe Lust auf mehr. Noch einmal Olympia-Gold (2028 in L.A.) wäre eine Sache, sich endgültig in die Geschichtsbücher einzutragen.“
Während hinter dem Eiffelturm ein Drama passierte. Die erfolgsverwöhnte Laura Ludwig und ihre Partnerin Louisa Lippmann kassierten ihre dritte Niederlage im Beachvolleyball. Tränen im Sand von Paris. Und Enttäuschung um das deutsche Paradeboot im Rudern. Der Achter, 2012 in London auf dem olympischen Gipfel und anschließend zur „Mannschaft des Jahres“ gewählt, verpasste das Podium. „Wir gehen nicht ins Rennen, um Vierter zu werden“ so Steuermann Jonas Wiesen. „Der erste Platz hinter der Medaille, das tut erst mal weh.“
Ups and Downs liegen beim olympischen Sport extrem eng zusammen. Olaf Tabor verwies auf die zahlreichen vierten Plätze der deutschen Mannschaft. „Der Unterschied zwischen der Medaille und das dahinter ist nur ein Wimperschlag. Ob die Reiter, Angelina Köhler und Melvin Imoudu im Schwimmen – nur Bruchteile von Sekunden fehlten zum Platz auf dem Treppchen.“ Deshalb müsse man auch „über den 4. Platz sprechen“ fordert der Chef de Mission. Und kündigte bei seiner Zwischen-Rechnung gute Chancen in Woche II an. Zwei Drittel der potenziellen Medaillen-Disziplinen stehen an – das Gros mit anderen Worten. Die Bahnradsportler, die Renn-Kanuten zum Beispiel stehen jetzt in den Startlöchern – und sind nicht nur heiß, sondern auch gut für goldene Ausbeuten.
Was auch zuversichtlich stimmt. Im Deutschen Haus wertet man „Paris 2024“ als Vorbild und Fingerzeig für eine etwaige künftige nationale Bewerbung um das Spektakel. „Aber die Latte ist hier schon hoch gelegt.“

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Dauser und Kevric – hoffen und staunen

Es könnte seine letzte Kür auf internationaler Bühne sein. Doch darüber will Lukas Dauser vor dem olympischen Barrenfinale an diesem Montag (11.45 Uhr) nicht nachdenken. Die Entscheidung, ob und wenn ja, auf welche Weise der Sportler des Jahres 2023 nach den Spielen von Paris seine Karriere fortsetzen wird, hat er auf die Zeit danach verschoben. Jetzt liegt der Fokus des 31 Jahre alten Kunstturners erst mal darauf, seine Übung „so gut wie möglich durchzuziehen“. 
Vor drei Jahren, in Tokio, hatte der Unterhachinger Silber gewonnen, im vergangenen Jahr, bei den Weltmeisterschaften in Antwerpen, sicherte er sich den Titel. In Belgien war allerdings der chinesische Olympiasieger Zou Jingyuan nicht am Start, ein „Überflieger“ an den beiden Holmen, wie es die US-Amerikanerin Simone Biles im Mehrkampf der Frauen sei, sagt Dauser. Auch sonst bekommt es der Deutsche mit starken Gegnern zu tun, darunter die beiden Ukrainer Oleg Wernjajew und Illja Kowtun, der eine Olympiasieger von Rio 2016, der andere amtierender Europameister. Der Japaner Shinnosuke Oka, Goldmedaillengewinner im Mehrkampf. Oder der Türke Ferhat Arican, der in Tokio Bronze holte.
Taktieren kann Dauser nicht. Die schwerere Übung, die er vorbereitet hatte und mit der er sogar einen höheren Ausgangswert hätte erzielen können als Qualifikationssieger Zou, kann der Vorkampffünfte nicht präsentieren. Nach einem Muskelbündelriss am rechten Oberarm im Juni musste Dauser erst mal pausieren und kann erst seit seiner Ankunft an der Seine wieder richtig trainieren. „Vorher war das eher ein Ausprobieren“, sagt er. Ein wenig Feeling und Spritzigkeit fehlten ihm; er werde nichts riskieren.
Die Schmerzen würden weniger, aber sind noch nicht ganz verschwunden. Um den lädierten Oberarm zu schonen, trägt Dauser eine Bandage. Anfangs hatte er keine passende gefunden; „die meisten sind aus Neopren, und man rutscht mit ihnen ein bisschen“. Sein Kumpel, der zweimalige Sportler des Jahres und Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen, schickte ihm daraufhin die Volleyball-Knieschoner, die er selbst während seiner Karriere zweckentfremdet hatte. Der Wetzlarer hatte sie noch in seinem Keller gefunden. 
Dauser trägt den einen abgewetzten jetzt zum Training, den anderen trug er bereits in der Qualifikation. „Mit denen fühlt es sich viel besser an“, sagt Dauser. Das „kleine Schaumstoffteil“, das er nach unten dreht, federe beim Aufprall auf dem Holz ein bisschen ab. 
Einen Tag vor Dauser wird auch Olympia-Debütantin Helen Kevric noch einmal in der Arena von Bercy vor die Kampfrichterinnen treten. Die 16-Jährige, jüngstes Mitglied im deutschen Aufgebot, hat sich als Achte für das Finale am Stufenbarren (15.40 Uhr)  qualifiziert und dabei Superstar Biles den letzten Platz in dieser Entscheidung weggeschnappt. 
Anders als Dauser, der in Paris bereits seine dritten Spiele erlebt, besitzt Kevric noch keine Routine bei solchen Großereignissen, startet in diesem Jahr erstmals bei den Seniorinnen. „Es macht Spaß, mit so großen Turnerinnen zu turnen“, sagt die Stuttgarterin, die schon die Qualifikation im gleichen Durchgang wie die Amerikanerinnen absolviert hatte und dabei die ohrenbetäubende Stimmung mitbekam, mit der Tausende von US-Fans auf den Tribünen die Auftritte ihres Teams begleiteten. Auch dass Stars wie Schauspieler Tom Cruise oder Sängerin Lady Gaga dort saßen, hatte Kevric mitbekommen. Dass  Model Kendall Jenner da war, freute sie besonders. 
Das hinderte das Talent nicht daran, ins Mehrkampffinale einzuziehen und dort mit einem Auftritt ohne größere Fehler einen beeindruckenden achten Platz zu belegen. Das ist das beste Ergebnis einer deutschen Turnerin seit den Spielen 1988 in Seoul. „Das ist schon schön“, sagt die Tochter des früheren Stuttgarter Fußballprofis Adnan Kevric, die Achtbeste der Welt zu sein. 
Im Barren-Finale wird alles noch ein bisschen aufregender sein, „da richtet sich der Fokus der ganzen Halle nur auf mich“, weil an den anderen Geräten zeitgleich nicht geturnt wird. Es sei für sie „schon krass“, überhaupt so weit gekommen zu sein. „Damit hatte ich nicht gerechnet“, sagt Kevric. 
Als Zwölfjährige hatte sie erstmals davon gesprochen, zu den Olympischen Spielen zu wollen, „aber da war das noch nicht realistisch“, sagt sie. Das änderte sich in den Folgejahren, als sie Junioren-Europameisterin und Zweite bei den Nachwuchs-Weltmeisterschaften wurde. Bei ihren ersten kontinentalen Titelkämpfen bei den Großen in diesem Jahr beendete sie als Vierte das Barrenfinale. 
Kevric gilt als besonders nervenstark, als eine, die mit Druck sehr gut umgehen kann. Nach dem, was sie in Paris schon erreicht hat, könnte sie jetzt ganz locker bleiben. Doch ohne den Ehrgeiz, immer das Bestmögliche zu geben, wäre Kevric gar nicht erst so weit gekommen.

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Paris sehen und staunen

Nein, schon das Ansinnen wäre verwerflich. Mal Sightseeing bei den Olympischen Spielen? Flanieren, Wahrzeichen bestaunen statt Sport pur… Aber: es geht hier schließlich – nur – um die Medaillen.

Die französische Hauptstadt bietet die Möglichkeit, high-performances mit kiebitzen zu verbinden. Also begab sich das Team SDJ auf „Tour de Paris“. Start auf dem Champs-de-Mars, eine riesige Grünfläche im 7. Arrondissement – einst militärisch genutzt, jetzt die Judo-Halle. Leider platzte bei Mitfavoritin Anna-Maria Wagner der Traum von einem Podestplatz, doch die Arena grenzt direkt an das Eiffelturm-Areal. Der stählerne Koloss, jährlich von ca sieben Millionen Touristen besucht, dient als Hintergrund der Beachvolleyball-Felder. Viel schönere Bilder gibt es nicht, als die Sandkästen vor dem 330 m hohen Monument. Hier können es Lippmann/Müller und Thole/Wickler noch weit bringen. Die Organisatoren haben Spiel- und Liegewiesen auf den Freiflächen eingerichtet. Die Benutzer fühlen sich wie Gott in Frankreich.

Ab nach Bercy zu den Kunstturnern. Ja, der Weg ist weit, aber die Metro schnell. Superstar Simone Biles meldet sich in der gigantischen Halle zurück, nicht nur ihre Übung am Schwebebalken lässt den Atem stocken. Und Olympia-Novizin Helen Kevric überrascht mit Platz acht im Mehrkampffinale. Gerade 16 geworden, ein Versprechen für die Zukunft. Helen präsentiert sich noch am Stufenbarren auf der Plattform der Weltbesten. 20.000 Menschen passen in den Palais Omni Sports, auch Basketball und Badminton tragen hier ihre Wettkämpfe aus, 2028 ist sogar die Eishockey-WM geplant.

Bercy erlebt Biles, das Stade de France huldigt den Königen der Athleten und den schnellsten Menschen der Welt. Uns führte die M13 in den nördlichen Stadtteil, einst als raue Ecke bekannt und früher gefürchtet. Doch das Nationalstadion, 1998 eröffnet, lässt einen staunen. Erlebt hier Leo Neugebauer sein olympischen Märchen, wer gewinnt am Sonntag das 100-m-Finale? Wir werden genau hinschauen – zusammen mit 75.000 Fans, die übrigens schon bei den Vormittagssessions das komplette Rund füllen. Olympia in Paris ist immer und überall ausverkauft.

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Kerber: Gefeiert auch ohne Happy End

Befreit aufgespielt, das beschreibt den letzten Step der zweifachen „Sportlerin des Jahres“ Angelique Kerber, deutlich. Vor Beginn der Olympischen Sommerspiele von Paris hatte die Kielerin bekanntgegeben, dass sie die aktive Karriere nicht fortsetzen wird.

Zu viel Druck mochte manch einer denken, doch für die deutsche Tennis-Queen bedeutete es genau das Gegenteil. Schon die erste Ansetzung gegen die Japanerin Naomi Osaka auf dem Center Court der ehrwürdigen Roland Garros Anlage ließ aufhorchen, denn die ehemalige Nummer eins der Weltrangliste schien eine harte Gegnerin zu werden. Doch das Märchen begann genau damit, denn Kerber schlug die zehn Jahre jüngere Japanerin und ließ die Zweifler verstummen. Und mit Kerbers Sieg begann auch die Sonne über Paris immer stärker zu werden, gemeinsam zermürbten sie ihre Gegner, Kerber und die Sonne. Bis ins Viertelfinale – und damit genau richtig, so dass Kerber mit Paris Frieden schließen konnte. Doch das Ende hätte kaum fulminanter sein können, ein wahrer Krimi in der sengenden Hitze des Courts Philippe-Chatrier gegen die spätere Finalistin Qinwen Zheng (21). In drei Sätzen wehrte sich Angelique Kerber deutlich und zeigte Nerven und Willen aus Drahtseilen. Immer wieder wehrte sie Breakbälle ab und nahm der Chinesin den Aufschlag ab. So dass bereits der erste Satz in den Tie-Break führte, ebenso wie auch der letzte Durchgang. Wer hätte gedacht, dass Angelique Kerber – vor eineinhalb Jahren Mutter einer Tochter geworden – die Nummer Sieben der Welt so ärgern konnte. Kerber (36), die bei keinem Turnier in diesem Jahr über die erste Runde hinausgekommen war, zeigte wie viel mit purer Willenskraft zu erreichen ist.

Das große Happy End mit einer olympischen Medaille ging nicht in Erfüllung – doch selten wurde eine Tennisspielerin nach einer Niederlage so gefeiert. Ob anschließend in der Mixed Zone mit den Medienvertretern oder auf dem Podium im Deutschen Haus, Angelique setzte das Pensum nach dem letzten Ball ins Netz professionell fort wie stets in ihrer Karriere. So verabschiedet sich ein Champion. Ihr Fanlager wird sie behalten – denn Angie hat Maßstäbe in Sachen Einsatz und Willen gesetzt. Vorbildlich.

Bild: picture alliance/sdj Collage

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