Tour de France 2023 – Rückkehr eines Mythos
- Publiziert in Sdj News
Der Puy de Dôme steht nach 35 Jahren Pause wieder im Programm. Sieben deutsche Profis starten am 1. Juli in Bilbao in das größte Radrennen des Jahres.
Vorhang auf zum großen Radspektakel: Am 1. Juli startet die Tour de France 2023 im baskischen Bilbao und von da an verbringen Millionen Fans wunderschöne Sommertage zu Hause vor dem Fernseher oder fahren gleich selbst als Zuschauer an die Strecke. Die Tour bewegt Massen und Geld, schafft Emotionen, Sieger und oft auch traurige Helden. Ein Etappensieg bei der Tour und dein Jahr ist gerettet, heißt es in der Szene. Dumm nur, dass dies von den 176 Profis aus 22 Mannschaften nur den wenigsten gelingen kann.
Neu ist in diesem Jahr die Rückkehr des Puy de Dôme im Zentralmassiv. Auf den knapp 1000 Höhenmeter haben sich bis 1988 so manche der größten Geschichten der Tour abgespielt. Zum Beispiel 1964, als der von der Franzosen heißgeliebte Raymond „Poupou“ Poulidor ums Haar seinen Landsmann Jacques Anquetil aus dem Gelben Trikot gefahren hätte, es aber um 14 Sekunden verpasste und in Paris dann Zweiter war – wie noch so oft danach. Bei der bisher letzten Auffahrt 1988 hatte dann Rolf Gölz den Etappensieg zum Greifen nahe, musste sich aber am Ende seinem Fluchtkollegen Johnny Weltz aus Dänemark geschlagen geben. Platz zwei vor Größen wie Miguel Indurain oder Pedro Delgado. Danach flog der Puy de Dôme aus dem Programm, es sei alles viel zu eng da oben, hieß es. Eng ist es immer noch, aber das Spektakel ist am 9. Juli zurück, wenn auch auf den letzten vier Kilometern ohne Zuschauer.
Auch in diesem Jahr werden sich wieder deutsche Profis um Ruhm und Ehre mühen, allerdings mit eher überschaubareren Prognosen. Die Zeiten der Edelsprinter Marcel Kittel und André Greipel sind vorbei, Kittel gewann bei der Tour 2017 gleich fünf Etappen, insgesamt 14 Siege hat er auf dem Konto. Davon kann man heute nur träumen, Radsport im Land befindet sich in einem Umbruch, vor allem fehlt es an einem Rundfahrer auf absolutem Weltniveau. So nominiert das größte deutsche Profiteam Bora hansgrohe in Emanuel Buchmann und Nils Politt nur zwei heimische Profis. Und zumindest zu Beginn sind die Rollen verteilt. Der Australier Jai Hindley, Giro-Sieger 2022, soll in Paris möglichst aufs Podium und versuchen den zu erwartenden Zweikampf zwischen dem Slowenen Tadej Pogacar (Sieger 2020, 2021) und Vorjahres-Champion Jonas Vingegaard (Dänemark) ein wenig aufzumischen. Der frisch gekürte Deutsche Meister ‚Emu‘ Buchmann ist die Alternative, zu Beginn muss er aber helfen. Buchmann war 2019 Vierter der Tour, seither aber von Stürzen und Krankheiten mehr verfolgt als vom Rennglück, das jetzt allerdings in Bad Dürrheim wieder da war. Nils Politt wird wohl seine Chance in einer Fluchtgruppe suchen dürfen – das Potenzial, daraus etwas werden zu lassen, hat er. 2021 hängte der 29-jährige Kölner zwölf Kilometer vor dem Ziel eindrucksvoll seinen letzten Mitausreißer Imanol Ervitti (Spanien) ab und gewann die Etappe in Nîmes.
Auch einige andere der insgesamt sieben deutschen Profis haben bei der Tour schon überzeugt. Routinier John Degenkolb (34) soll als Roadcaptain beim Team DSM die jungen Profis führen und dem Franzosen Romain Bardet bei dessen Kampf ums Podium unterstützen. „Dege“ gewann 2018 die Kopfsteinpflaster-Etappe nach Roubaix, wo er schon 2015 den Klassiker Paris – Roubaix für sich entscheiden konnte. Auch Simon Geschke hat schon Tourgeschichte geschrieben, als er 2015 eine Solofahrt von rund 50 Kilometern mit dem Sieg der schweren Bergetappe nach Pra Loup krönen konnte, im Vorjahr trug er an neun Tagen das gepunktete Trikot. Gespannt sein darf man auf das Abschneiden des Augsburgers Georg Zimmermann, der für sein belgisches Team Intermarché-Circus-Wanty vor ein paar Wochen eine Etappe der Dauphiné Rundfahrt gewinnen konnte. Der 25-jährige Bergspezialist gilt als Versprechen für die Zukunft.
Komplettiert wird das kleine Feld deutscher Pedaleure durch die bergfesten Sprinter Phil Bauhaus und Nikias Arndt, die beide für das Team Bahrain Victorious starten und vielleicht ihre Chance bei einer hügeligen Etappe bekommen könnten, wenn am Ende nicht mehr die absolute Weltelite der Sprinter ganz vorne dabei ist. Am Samstag geht es also rund um Bilbao los und die beiden können sich vielleicht bei der welligen Etappe mit einem supersteilen Finale (15,6 %) schon präsentieren, wobei die Konkurrenz um das ersten Gelbe Trikot 2023 natürlich gewaltig sein wird.
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