Sportler des Jahres - September 2024

Paralympics-Bilanz: Der lauteste Applaus aller Zeiten

Als der große Regen bei der Abschlussfeier alle der 4400 Athletinnen und Athleten nass gemacht hatte, passierte folgendes: Hunderte bildeten eine Polonaise, tanzten zu französischen Klassikern wie „Voyage, Voyage“ und rasteten völlig aus, als Paris 2024-Chef Tony Estanguet das Publikum zum lautesten Applaus aller Zeiten aufrief – bevor er selbst „Tony, Tony“-Sprechchöre erhielt. Die Spiele von Paris – sie waren bei den Paralympischen ebenso begeisternd wie bei den Olympischen. Frankreich hat neue Maßstäbe gesetzt und könnte eine Wirkung haben wie die legendären Spiele von London 2012.

Aus deutscher Sicht gab es reichlich Grund zur Freude: 143 Athlet*innen und fünf Guides sorgten für insgesamt 49 Medaillen, davon zehn goldene, 14 silberne und 25 bronzene sowie 63 Platzierungen auf den Rängen vier bis acht, darunter 13 vierte Plätze. Die Medaillengewinne verteilen sich auf 13 von 18 Sportarten, in denen Deutschland vertreten war. Besonders stark war das Para Schwimmteam. Vier Goldmedaillen sowie jeweils dreimal Silber und Bronze, dazu zwei Weltrekorde durch Elena Semechin und Taliso Engel, die wie in Tokio 2021 am gleichen Tag siegten. Dazu krönten sich erstmals auch Tanja Scholz und Josia Tim Alexander Topf.

Erfolgreichste Athletin war Para Sportschützin Natascha Hiltrop, die gar zwei Goldmedaillen gewann, eine mit paralympischem Rekord. Schöne Überraschungs-Goldmedaillen gab es für Para Radsportlerin Maike Hausberger, Para Tischtennisspielerin Sandra Mikolaschek sowie Rollstuhlfechter Maurice Schmidt, der gemeinsam mit Elena Semechin die deutsche Fahne bei der Abschlussfeier im Stade de France tragen durfte. Ausnahmesportler Markus Rehm sprang in Paris zum vierten Gold in Folge seit 2012, insgesamt war es sein fünfter Paralympicssieg. Und die deutschen Rollstuhlbasketballer holten mit Bronze die erste Team-Medaille seit 2016, für sie selbst war es gar die erste Medaille seit Barcelona 1992.

Natürlich gab es Athleten, die hinter ihren Erwartungen zurückblieben: Doppel-Weltmeister Léon Schäfer musste sich ebenso wie Para Radsportler Pierre Senska mit zwei vierten Plätzen abfinden. Den Weltrekordhaltern Johannes Floors über 400 Meter und Kugelstoßer Niko Kappel blieben die Silber Ränge. „Wir erleben eine weltweite Leistungsexplosion im Sport von Menschen mit Behinderungen“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher: „Für den Para Sport ist das eine gute Entwicklung und auch für den Stellenwert von Menschen mit Behinderungen in dieser Welt.“ Den Deutschen muss vor dieser Entwicklung nicht bange sein: Von 57 Debütant*innen konnten sechs plus der Mixed-Zweier im Para Rudern eine Medaille gewinnen, andere zeigten, dass in Los Angeles 2028 mit ihnen gerechnet werden kann. Und so drang am Sonntagabend im Stade de France nicht nur der Abschiedsschmerz von Paris 2024 durch – sondern auch ein leichter Hauch Vorfreude in Richtung LA 2028. Insgesamt wurden in Paris 12 Millionen Tickets verkauft (9,5 Olympische Spiele und 2,5 Paralympische Spiele), vielleicht auch ein Rekord für die Ewigkeit.

Foto: Tom Weller / DBS

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Paralympics in Paris: Zwei Siegerehrungen, ein Kleidungssatz

Als die Weitsprung-Sensation bei den Paralympics in Paris perfekt war, brach kurz Panik aus: Die korrekte Kleidung für die Medaillenzeremonie hatte Nele Moos erst gar nicht eingepackt. Zu stark erschien der WM-Bronzemedaillengewinnerin von Paris 2023 die Konkurrenz nach einem schweren Jahr. Hilfe eilte in Person von Weitsprung-Weltrekordhalter Markus Rehm heran, dessen Siegerehrung um geschlagene 66 Minuten verschoben werden musste, weil der Bladejumper nach seinem vierten Paralympicssieg am Mittwochabend zu lange gefeiert hatte. Die Lösung war schnell gefunden: Rehm, der 8,13 Meter gesprungen war, zog seine Siegerehrungs-Kleidung aus und seine Leverkusener Teamkollegin Nele Moos die viel zu großen Sachen an.

Nach vier Versuchen – Moos hatte bereits ihre Bestweite um einen Zentimeter auf 4,90 Meter verbessert – lag die 22-Jährige vom TSV Bayer 04 Leverkusen auf Rang fünf. Im fünften Versuch: Die zweite Bestweite: 4,93 Meter. Vorne ist die ungarische Dominatorin Luca Ekler enteilt, aber Silber und Bronze sind mit 4,99 Metern nur sechs Zentimeter weit weg. Rang vier liegt nur fünf Zentimeter vor ihr.

Kurz bevor Alles-Gewinner Rehm für Gold aufgerufen werden soll, macht sich Moos bereit, läuft entschlossen an, springt, wirft beim Aufstehen vor Freude Sand in die Grube und guckt fast geschockt: 5,13 Meter! Silber! Deutscher Rekord! Und plötzlich ertönt im Stadion auch die deutsche Hymne für Markus Rehm, dem ersten deutschen Paralympics-Sieger von Paris in der Para Leichtathletik.

Es ist die erste Paralympics-Medaille für die gebürtige Duisburgerin: „Crazy! Ich hatte das Ziel, erstmals über fünf Meter zu springen. Das habe ich in den letzten Wochen im Training immer wieder zeigen können. Nur das war mir wichtig. Ich habe mir gar keine Medaillenchancen ausgemalt, deshalb trage ich jetzt auch die Zeremonie-Kleidung von Markus, weil ich meine gekonnt zuhause gelassen habe.“

Trainer Erik Schneider wies sie vor dem sechsten Versuch daraufhin, dass gleich Markus Rehm geehrt werden würde: „Ich war mental und körperlich schon ein bisschen am Ende und dachte: Wenn die Hymne läuft, muss ich garantiert irgendwann weinen. Deshalb wollte ich so gut es geht den Sprung machen, bevor er die Medaille bekommt, weil durch die Zeremonie ja auch noch mal der Wettkampf unterbrochen wird. Das ist nicht so gut für den Rhythmus.“ Doch in dem Fall genau das, was Moos brauchte. Und als sie mit Bestweite aus der Grube kam, lief nicht nur die Hymne, sondern auch die Tränen.

„Das ist doch schön, das meine Kleidung hier noch mal aufs Podium geführt wird“, meinte der 36-jährige Rehm später und Moos sagte lachend: „Ich trage das Outfit einer Legende.“

Foto: Tom Weller / DBS

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