Sportler des Jahres - Juni 2021

Ein Speer fliegt nach Tokio

Ein Speer nach dem anderen fliegt aus dem Eingang der Leichtathletik-Halle ins Freie, auf einen Fußballplatz. Wie ein Stakkato – und meist ist der Adressat Johannes Vetter, der in Offenburg für Olympia trainiert. Da empfand er es als willkommene Ablenkung, den silbernen Pokal für Platz 2 bei der letzten Sportlerwahl ausgehändigt (und natürlich vorher desinfiziert) zu bekommen. Nur Puckjäger Leon Draisaitl hatte beim letzten Votum der Sportjournalisten mehr Punkte erhalten.

Damals hatte sich Vetter mit einem Fast-Weltrekord von 97,76 m zu Wort gemeldet, das hätte in Tokio 2020 mit großer Wahrscheinlichkeit zu Gold gereicht. Ein Jahr danach sieht es ebenfalls gut für den Modellathleten aus. Er habe ein „Pfund vorgelegt“, sagt der 28-Jährige. Und was für eins: 96,29 m während der Team-EM. „Natürlich gibt das Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein.“ Weitere Starts vor Japan sind in Finnland, Linz und London vorgesehen, das kleine Problem mit den Adduktoren, das eine DM-Teilnahme verhinderte, ist überstanden, sagt der Weltmeister von 2017 – und lässt eine weitere Speer-Salve auf dem Trainingsplatz in der Ortenau folgen.

Läuft bei „JoJo“, der aber anfügt, das „Endlevel“ noch nicht erreicht zu haben. Das soll Anfang August in Tokio gelingen. Er kenne zwar das Stadion nicht, „aber der Belag soll gut sein“. Mitentscheidend für die Speerwerfer –ansonsten seien es kleine Stellschrauben, an den er – zusammen mit Bundestrainer Boris Obergföll – dreht. „Es geht um tausend Dinge, die für einen weiten Wurf in Millisekunden durchgeführt werden müssen. Sagen wir es so: es ist, wie wenn man in der Formel 1 versucht, noch 0,5 oder 1 PS mehr herauszukitzeln.“

Bis September hat er seine Saison im Corona-Jahr II durchgetaktet. Danach wäre der „Sportler des Jahres in Baden die beste Gelegenheit, zu feiern, denn in Tokio wird das kaum möglich sein.“ Übrigens: mit den Regeln vor Ort, beim Training, dem Transport oder der Unterkunft, lässt sich Johannes Vetter nicht ablenken. Das sehe man dann ja.  Alle Konzentration gilt dem Speer, der nach Japan fliegt. „Ich trete an, um zu gewinnen. Dann ist es auch egal, ob mit 86 oder 96 Meter.“ Das darf man auch als Antwort auf die von Freaks erhoffte epochale 100-m-Weite verstehen.

Bild: ISK

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Löws letzte Mission.

Wohin führt der Weg der deutschen Fußball-Elite zwischen Campo Bahia, Watutinki und dem fränkischen Homeground? Einer, der schon alle besagten Mannschaftsquartiere der Nationalmannschaft mitmachen durfte und musste, strahlt vor dem Anpfiff zum ersten Gruppenspiel der um ein Jahr verlegten UEFA Euro 2020 gegen Weltmeister Frankreich vorsichtigen Optimismus aus. „Die Stimmung“, sagt der von Bundestrainer Joachim Löw vor seinem letzten großen Turnier reaktivierte Dortmunder Mats Hummels, sei „lockerer und gelöster“ als vor dem desaströsen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland.

Was kein Freibrief fürs Weiterkommen gegen die anderen Vorrundengegner ist: Weltmeister und Top-Favorit Frankreich. Titelverteidiger Portugal mit „Fußballgott CR7“, der trotz seiner 36 Jahre immer noch voller Erfolgshunger steckt.  Und gegen und die oft unterschätzten, aber als Kollektiv sehr kompakten Ungarn, die mit „voller Kapelle“ und 60.000 Fans im Rücken gegen Ronaldo und Co. antreten dürfen. Seit dem legendären „Geist von Spiez“, der mit dem „Wunder von Bern endete“, weiß jeder, der sich zu den Millionen von Experten und verkannten Bundestrainern zählt: „Das Logis eines Turniers gewinnt keine Titel. Es kann aber zum Mythos werden oder den Boden vergiften, auf dem Großes wachsen soll.“

Am Willen des schwarz-rot-goldenen Kaders, den seit dem Russland-Debakel zumindest in Frage gestellten „ewigen Jogi“, möglichst ehrenvoll in DFB-Rente zu schicken, mangelt es wohl nicht, hört man sich bei den Betroffenen vor dem Anpfiff um. „Die Stimmung isch gut“, orakelt auch Jogi Löw, der bekannteste Schwarzwald-Export neben Kuckucksuhren und Kirschtorte. In vielen Einzelgesprächen versuchte der Weltmeister-Trainer von 2014, seine Eleven auf die letzte große Aufgabe seiner 15jährigen Amtszeit ein zu stimmen.

Die beiden „Heimkehrer“ Thomas Müller und Mats Hummels werden aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen vom Brasilien-Turnier dabei möglicherweise seine wichtigsten Assistenten sein. „Ich will in der Rolle, die der Bundestrainer von mir verlangt vorangehen“, verspricht der Dortmunder. Und der bei Bayern in vielen Rollen unverzichtbare Müller hat „richtig Bock auf ein gutes Turnier.“ Mehr als die Aufstellung wird also die Einstellung bei der Wiedergutmachung von Watutinki entscheidend sein. Und daran mangelt es offenbar nicht, um sich wie schon 2014 einen Auftritt beim „Sportler des Jahres“ 2021 zu sichern.

Bild: picture alliance

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Irre WM für Puckjäger

Schade! Am Ende hat es nicht ganz gereicht für den Griff zur Krone des härtesten und schnellsten Mannschaftssports de Welt. Drei Jahre nach dem unvergesslichen olympischen Turnier und dem Silber, dem nur wenige Sekunden zur Verwandlung ins Gold fehlten, scheiterte die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bei der in Riga ausgetragenen WM nur knapp am nächsten Einzug in das Finale eines großen Turniers. Gegen den später von Kanada entthronten Weltmeister Finnland zogen die Cracks von Trainer Toni Söderholm im Halbfinale nach einer starken Vorstellung mit 1:2 den Kürzeren. Im „kleinen Finale“ gegen die USA war dann der „Akku“ leer. Statt des erhofften Edelmetalls gab es am Ende ein 1:6, das am guten Gesamteindruck jedoch nichts änderte.

Und so erwiesen sich die Puckjäger im schwarz-rot-goldenen Dress nur wenige Tage nach dem Absolvieren einer anstrengenden Meisterschaftsrunde als homogene Truppe. Auch ohne Superstar Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers. Der aktuelle „Sportler des Jahres“, dem der Gewinn des Stanley Cups ein weiteres Mal verwehrt blieb, fehlte dem Silbermedaillengewinner von Olympia 2018 zwar. Doch die meisten seiner Mannschaftskameraden dachten wie der nachgereiste NHL-Stürmer Dominik Kahun nach dem unglücklichen WM-Aus gegen die Finnen: „Wir waren die bessere Mannschaft. Aber die Finnen waren bei ihren wenigen Chancen gnadenlos effektiv.“

Die eingeschworene Truppe mit dem Spieler-Block von Meister Eisbären Berlin entfachte wie schon drei Jahre zuvor in Pyeongchang im späten Frühling ein regelrechtes Eishockey-Fieber in der Heimat. Millionen verfolgten an den Bildschirmen den Sieg im Gruppenspiel gegen die kanadischen Raubeine und das Nerven aufreibende glückliche Shootout im Viertelfinale gegen die Eidgenossen. „Wir kriegen das ja hier vor Ort über die sozialen Medien mit und freuen uns übe die Resonanz zu Hause. Wir hoffen, dass wir erneut etwas für das Ansehen und die Weiterentwicklung unserer Sportart in der Öffentlichkeit tun konnten“, sagte Top-Goalie Mathias Niederberger von Meister Berlin.

Als echte Mannschaft im wahrsten Sinne des Wortes könnten Deutschlands Hockey-Cracks auch in diesem Jahr in Baden-Baden erneut ein Anwärter auf das Podium beim „Sportler des Jahres“ sein. Vielleicht ist „Penalty-Gott“ Marcel Noebels dann auf der Bühne des Kurhauses genau so cool wie beim weltmeisterlichen Penalty-Kimi.

Bild: picture alliance

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Gutes Omen für Emma Hinze

Sie trägt das Regenbogentrikot als Weltmeisterin – und fühlt sich stark. Aber überrascht war Emma Hinze, die dreifache Goldsprinterin der letzten Bahn-WM, so ganz ohne Wettbewerb einen weiteren Pokal entgegennehmen zu können. Die Statue für ihren Podiumsplatz bei der letzten Wahl „Sportler des Jahres“, als sie nicht persönlich nach Baden-Baden kommen konnte. „Das ist mal eine schöne Überraschung – und ich musste dafür nicht einmal das Training unterbrechen.“

Ein gutes Omen für künftige Starts? Warum nicht: die 23-Jährige kennt zwar nur ihre Zeiten – und kann sich bis Olympia nicht mit den Top-Athletinnen aus China, Australien oder Russland messen – aber der Tritt ist flüssig, die Form steigt stetig. Den Rennkalender der Spiele in Tokio hat sie auch längst studiert. Es steht auf einer Bahn, die sie auch nicht kennt, eine Woche der Wahrheit bevor. Sprint, Teamsprint und Keirin sind ihr Ding, wie 2020 bei der WM im Berliner Velodrom. Doch Prognosen stellt sich generell nicht. „Das mache ich nie, aus Prinzip.“

Nach der – ersten - Impfung hatte die Bahnspezialistin über eine Woche mit den Nebenwirkungen gekämpft, doch jetzt ist der Körper für Höchstleistungen bereit. 10,5 Sekunden für die 200 Meter (fliegend) seien der aktuelle Wert. Mit Luft nach oben. Und das meist auf der Cottbuser Betonpiste, wo die deutschen Bahncracks unendliche Runden drehen. Bis kurz vor dem Abflug nach Fernost lautet das Motto: Trainingslager und Übungsstunden daheim statt Weltcup-Einsätze oder Olympia-Generalproben. Auch der kurzfristig nach St. Petersburg vergebene Nationalcup Anfang Juli ist im zweiten Corona-Jahr kein Thema. Dafür weitere „Heimschichten“ wie das Bahnrennen auf der Cottbuser am Wochenende mit über 100 Startern.

Und Olympia im pandemischen Jahr? Emma Hinze hatte 2016 in Rio als Ersatzfahrerin nur zuschauen und mitfiebern können. Keine Frage also, dass jetzt auch Spiele unter anderen Umständen elektrisieren. Zumal nicht wenige Insider sie zu den ganz großen Medaillenhoffnungen zählen.   

Bild: Uli Hugger

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Sportler-Pokal auf Reisen

Normalerweise gehen die Ehrungen „Sportler des Jahres“ im Bénazetsaal des Kurhauses von Baden-Baden, immer kurz vor Weihnachten, über die Bühne. Im Licht der Scheinwerfer, vor den TV-Kameras. Aber diesmal fand die Pokalübergabe outdoor, bei Sonnenschein und 22 Grad, statt. Francesco Friedrich, der erfolgreichste Bobpilot aller Zeiten, und sein Team nahmen den bronzenen Pokal für Platz 3 bei der letzten Wahl zur „Mannschaft des Jahres“ entgegen. Er fand die Trophäe ebenso handlich wie edel – bei der offiziellen Veranstaltung im letzten Dezember hatten nur ganz wenige Sportler und Sportlerinnen – aus Corona-Gründen – teilnehmen dürfen. Jetzt reiste die Statue dem Ausnahmesportler eben hinterher. Bei einem Sponsorentermin in der Pfalz erfolgte die Übergabe.

Im Zweier und Vierer sammelt der Doppel-Olympiasieger von 2018 Medaillen und Pokale wie keiner bisher aus der Kufen-Branche. Bei der Wahl zur Top-Mannschaft waren 2020 nur die Titelhamsterer des FC Bayern München und das Tennis-Doppel Krawietz/Mies vor dem Sachsen und seinen Partnern im Schlitten durchs Ziel gegangen - aber erstmals überhaupt errang ein Bob-Team einen Podiumsplatz. Das könnte der Beginn einer Serie sein. Denn Friedrich (31) strebt als nächstes Gold in Peking an – und hat schonmal hochgerechnet, wann er die Hundert bei den Weltcupsiegen (aktuell 52) erreichen könnte.

Zur Pokalübergabe waren der Pirnaer und seine schnellen Männer aus dem Trainingslager angereist. „Jetzt hat die achtmonatige Vorbereitung begonnen, wir sind wieder alle gesund (Anm. nach einer Corona-Infektion), fit und voll motiviert.“ Aber das Thema Olympia beschäftigte die Crew nonstop. „Wenn es mit Tokio funktioniert, wird es auch in Peking Spiele geben.“ Dort sollten eigentlich im Oktober die Tests auf dem noch unbekannten Eiskanal beginnen. Doch Gewissheiten und Garantien bleiben in der pandemischen Lage ein Vabanquespiel. „Also am besten wieder in Altenberg…“, scherzt der Ausnahme-Athlet. Dort hatte er zuletzt WM-Gold mit beiden Schlitten abgeräumt. Eine bärenstarke Referenz für die nächste Auszeichnung der Sportjournalisten. Am 19. Dezember in Baden-Baden.      

Foto: Uli Hugger

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