Das deutsche Hockey-Wunder von Indien
Er konnte sein Glück nicht fassen. Seinen Mannschaftskameraden erging es nicht anders, als der Weltmeistertitel nach einem dramatischen 5:4 im Penaltyschiessen gegen Belgien gesichert war. Doch für Gonzalo Peillat war es noch einmal eine ganz besondere Freude, mit den deutschen Hockeyspielern in Indien die Champions-Trophäe gewonnen zu haben.
Der 30-Jährige ist Argentinier, kommt aus Buenos Aires. Als Kapitän der Auswahl seines Heimatlandes gewann er bei den Sommerspielen 2016 in Rio olympische Gold und wurde als Torschützenkönig geehrt. Im Januar 2019 erklärte Peillat dann wegen eines über Monate schwelenden Streits mit Cheftrainer Carlos Retegui seinen Rücktritt aus dem Nationalteam. 153 Länderspiele hatte er seit 2011 absolviert und dabei 176 Tore geschossen. Für den als Messi des argentinischen Hockeysports gefeierten Weltklassespieler war klar: „Meine sportliche Karriere ist beendet.”
Dass „Gonzo”, wie ihn alle nennen, in der deutsche Equipe zum unerwarteten Comeback auflief, verdankt der weltbeste Strafeckenspezialist dem Reglement des Weltverbandes FIH. Es besagt, dass ein Akteur drei Jahre nach seinem letzten Länderspiel die Nation wechseln kann.
Die Wechselklausel ließ Peillat lange berührt. Er spielte zwar seit 2016 für den Mannheimer HC in der Bundesliga, doch damit war es gut für ihn. Seine Haltung änderte sich erst, als aus der Nationalmannschaft Interesse an ihm bekundet wurde. Am Montag, dem 14. Februar vorigen Jahres, erhielt er nach eingehender Prüfung und intensiver Befragung in der Mannheimer Ausländerbehörde die Einbürgerungsurkunde. „Meine Freundin wartete im Auto, als ich sie sah, fiel ich ihr um den Hals. Ich freute mich wie ein kleines Kind. Zu Hause haben wir dann mit einem guten Rotwein angestoßen“, erzählt der Südamerikaner.
Die neuen Mitspieler schätzen am WM-Dritten von 2014 nicht nur dessen sportliche Qualitäten, sondern auch, dass er ein Mensch ohne irgendwelche Allüren ist, auf den man sich verlassen und mit dem man durch dick und dünn gehen kann. „Gonzo ist ein grandioser Mensch”, sagt etwa Kapitän Mats Grambusch. „Er ist immer entspannt und gut gelaunt. Und bei den Ecken ist er die Waffe überhaupt, was ihn zu einem absoluten Game-Changer für uns macht”. Bundestrainer Andre Henning schwärmt: „Er hat eine fantastische positive Energie, die jedem Team gut tut.”
Sein Debüt im Trikot der „Honamas“ mit der Nummer 16 gab Peillat am 26. März in Mönchengladbach gegen Spanien. Es hätte nicht optimaler verlaufen können. Bereits nach 45 Sekunden verwandelte der kräftige Abwehrspieler eine Strafecke zur Führung. „Das war der Wahnsinn“, sagt Peillat, der sich mit seiner Freundin Florencia Habif in Mannheim pudelwohl fühlt. Die Olympiazweite von 2012 spielt auch für den dortigen Klub in der Bundesliga. Gemeinsam kümmern sie sich um das Nachwuchscamp des Vereins. Über 500 Kinder und Jugendliche werden von ihnen betreut.
Vor dem Abflug zum Weltchampionat, bei dem Peillat mit sechs Treffern hinter Niklas Wellen (7) zweitbester deutscher Torschütze wurde, ließ er keinen Zweifel daran, was er im fernen Südasien anstrebt. „Ich möchte mit Deutschland nicht nur ins Endspiel einziehen, sondern auch Weltmeister werden“, sagte er ohne Wenn und Aber. Den noch fehlenden Titel hat er nun, was er mit den Worten kommentierte: „Einfach unglaublich.”
Das empfand auch Hockey-Legende Moritz Fürste, Olympiasieger 2008 und 2012: „Eine unfassbare Leistung, dreimal nach 0:2 zurückzukommen und gegen die Besten der Welt hochverdient Weltmeister zu werden, ist einfach nur sensationell. Herausragende Team-Performance mit einem überragenden Niklas Wellen. Wir sind Weltmeister.“
Und wer weiß, vielleicht werden Peillat, Wellen und die Goldjungs nun auch von den deutschen Sportjournalisten zur „Mannschaft des Jahres“ gekürt. Bei der Europameisterschaft im August in Mönchengladbach kann es dafür weiter Eigenwerbung betreiben. Dreimal verewigten sich die Hockeyspieler schon in der Siegerliste: 1972, 1992 und 2008.
Gunnar Meinhardt
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