Handball-EM mit deutschen Turnier-Novizen

Mehr Wundertüte vor einem großen internationalen Wettbewerb als bei dieser deutschen Handball-Nationalmannschaft der Männer geht eigentlich nicht. Fast die Hälfte des Aufgebots, mit dem Bundestrainer Alfred Gislason bei der Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei antritt, verfügt über null Turniererfahrung. Das heißt, diese Spieler standen bisher weder bei einer EM, einer WM oder einem olympischen Turnier  auf der Platte.

Die Frage nach der Zielsetzung der neuformierten DHB-Vertretung stellt sich da also kaum. Viel mehr jene, welche Perspektiven und Möglichkeiten sich einer Mannschaft eröffnen, deren Namen zum großen Teil nur den absoluten Insidern dieser Sportart geläufig sind. Denn immerhin ist der Deutsche Handballbund (DHB) in zwei Jahren Gastgeber der EM und möchte dann eine Truppe aufbieten, die bei der Medaillenvergabe mitmischen kann.

Die erste große Herausforderung bei diesem Turnier, in das Gislasons Auswahl am Freitag gegen Belarus einsteigt, ist das Abschneiden der Mannschaft auch für Johannes Golla. Der Kreisläufer von der SG Flensburg-Handewitt wird die Mannschaft als neuer Kapitän und damit als Nachfolger des zurückgetretenen Auswahlchefs und Weltklasse-Linksaußen Uwe Gensheimer aufs Parkett führen. Bange ist dem erst 24-jährigen gebürtigen Rheinhessen nicht, aber die Töne, die der junge Familienvater wählt, sind auch leiserer Natur, als dies zu den mitunter skurrilen Bob-Hanning-Zeiten der Fall war: „Unser Ziel wird es zunächst sein, dass wir uns als Mannschaft finden und einen Grundstein dafür zu legen, dass wir in absehbarer Zukunft wieder ganz oben angreifen können.“

Dass diese Messlatte nicht unbedingt zu hoch angelegt ist, beweist auch der überraschende 35:34-Sieg im letzten Testspiel am Sonntag gegen Olympiasieger Frankreich, dessen Zustandekommen den Corona-Wirren geschuldet war.  Man könne im Moment „gegen keine bessere Mannschaft testen“, befand Gislason, der das Amt des Bundestrainers vor knapp zwei Jahren von der Kurzzeitlösung Christian Prokop übernommen hatte. Am Freitag wird er bei der EM, wo neben Belarus noch Österreich und Polen in der Vorrunde warten, aus den unterschiedlichsten Gründen auf Stammkräfte wie Paul Drux, Fabian Wiede, Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold verzichten müssen.  Ob es dennoch reicht, um vielleicht bei der 76. Wahl zu Deutschlands „Sportlern des Jahres“ eingeladen zu werden, kann sich spätestens am 30. Januar, dem Tages des Finales, entscheiden.

Immerhin wird ihm sogar im Falle des Titelgewinns eines erspart bleiben: Die Langzeit-Vorgänger seiner Eleven durften nach dem EM-Gold von 2004 dem damaligen Bundestrainer Heiner Brand dessen Markenzeichen, seinen mächtigen Schnauzbart, abrasieren. Mit dieser Manneszierde kann Gislason nicht aufwarten. Mit dem Fachwissen Brands und einer hungrigen, jungen Mannschaft indessen schon. Zuschauen lohnt sich ganz sicher – zumal ARD und ZDF alle deutschen Partien live übertragen.

Bild: picture alliance

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