Ocik: Sport muss sich Gehör verschaffen

Die Ruder-Europameisterschaften sind terminiert. Vom 9. bis 11. Oktober 2020 werden die Wettkämpfe im polnischen Posen ausgetragen. Wir konnten mit Hannes Ocik, Schlagmann des Deutschland-Achters, über die Corona-Krise, die zurückliegenden Trainingswochen, die neue Normalität und den „Sportler des Jahres“ 2020 sprechen. Denn neben Sportfunktionären möchten wir Aktive aus ganz Sportdeutschland zu Wort kommen lassen, Ocik (29) sieht in der Pandemie auch die Chance zur Einigung der Sportwelt. Gleichzeitig setzt er ein Fragezeichen hinter die Wahl zur „Mannschaft des Jahres“.

Wie habt ihr als Team den Shut-Down erlebt, was hat sich für euch im Training geändert, sitzt ihr auch ohne Corona Pandemie ab und zu im Zweier und wie schwer hat euch die Verlegung der Olympischen Spiele getroffen?

Als Team konnten wir den Shut-Down nicht erleben, da wir ja auch alle einzeln zu Hause sein mussten. Wir haben uns in der Zeit mit individuellen Homeworkouts und dem Ruderergometer „vergnügt“. Dabei zeigten die Fotos aus der Mannschaft, dass die Geräte an den unterschiedlichsten Stellen Platz gefunden haben wie Balkon, Terrasse, Vorgarten, Parkplatz oder Wohnzimmer und bestimmt bei dem einen oder anderen Nachbarn zu erstaunten Blicken geführt haben. Geändert hat sich nach der ersten Lockerung, dass wir wieder in kleineren Gruppen (anfänglich Zweier- dann Vierer-Gruppen) am Stützpunkt in Dortmund trainieren konnten, ohne jedoch dabei die Umkleideräume und Duschen zu benutzen. Die Verschiebung der Spiele hat uns genauso hart getroffen wie auch alle anderen Athleten aus dem Team D. Wir waren in einer Phase äußerst umfangreichen Trainings und entsprechend physisch und psychisch an die Belastungsgrenzen gekommen. Da trifft einen eine solche Entscheidung um so härter. Dadurch war es für jeden von uns ein Fall in ein tiefes Loch, aus dem wir uns erst langsam wieder heraus kämpfen mussten.

Habt ihr euch während der Shut-Down Phase überhaupt gesehen, oder habt ihr euch gegenseitig motiviert via Video Call?

Wir hatten eine WhatsApp-Gruppe, in der wir unsere Trainingsergebnisse eingestellt haben, Motivationscalls gab es allerdings nicht.

Was bedeutet es jetzt, wieder gemeinsam im Achter zu trainieren?

Es ist ein Gefühl, das uns sehr positiv stimmt. Allerdings, nach so einer langen Zeit wieder im grünen Boot zu sitzen, hatte auch etwas von Taubheit. Denn das Bootsgefühl ist nach fast zehn Wochen Achter-Abstinenz doch ein wenig verloren gegangen.

Wie ist der Ausblick für Tokio 2021? Und was wäre ein erreichbares Ziel bei der Ruder Europameisterschaft im Oktober in Polen?

Es ist natürlich schwierig, unter den jetzigen Gegebenheiten eine neue Saisonplanung vorzunehmen. Die EM im Oktober, eine konzentrierte Vorbereitung darauf und die dennoch notwendigen Erholungszeiten für das langfristige Ziel Olympische Spiele im nächsten Jahr fordern bei den Trainern und Sportlern neue Ansätze in der Trainingsplanung. Das ist für uns eine neue Situation und wir müssen  viel bedenken. Für alle ist jedoch klar, dass wir die EM mit vollem Einsatz und größtmöglichem Erfolg fahren wollen, weil sie für uns die einzige internationale Rennregatta 2020 sein wird. In den Wintermonaten werden dann 3-4 Trainingslager und anschließend die Worldcup-Saison folgen. Für den Zweier und den Vierer ohne Steuermann geht es dann Mitte Mai 2021 um die Nachqualifikation für die Spiele.

Rückt die Sportwelt „danach“ ein bisschen mehr zusammen?

Ein Reset auf Null kann auch der Beginn neuer Möglichkeiten sein. Wir müssen jedoch aufpassen, dass die (Spitzen-)Sportwelt aufgrund unterschiedlicher Regelungen nicht so weit auseinanderdriftet, dass Missgunst die Oberhand gewinnt. Daher ist es wichtiger denn je, dass die Sportarten weiter zusammenrücken und sich gemeinsam in der Gesellschaft und in der Politik Gehör verschaffen müssen. Chancen sehe ich auf jeden Fall im Breitensport und insbesondere für die Freiluftsportarten, da der Shut-Down die Bedeutung des Sports als individuelle Gesundheitsprävention wieder deutlich in den Fokus gerückt hat. Davon könnten idealerweise die Vereine mit einem Mitgliederzuwachs profitieren.

Wir arbeiten an Lösungen für eine Auszeichnung am 20.12. 2020 in Baden-Baden. Wie ist deine Einschätzung gerade zur Wahl „Mannschaft des Jahres“?

Um es vorweg zu nehmen: die Veranstaltung war stets eine absolute Motivation und ein Highlight für uns Sportler! Und grundsätzlich bin ich auch immer ein Freund von rein sportlichen Leistungen bei Ehrungen. Aber da das in diesem Jahr schwierig wird, weil wohl gerade einige Mannschafts-Sportarten oder -Disziplinen kaum die Chance auf internationale Meisterschaften haben, müssen notwendigerweise andere Aspekte hinzugezogen werden. Vielleicht sollte daher eine klassische Ehrung einer Mannschaft des Jahres entfallen, da sie einfach unter ungleichen Voraussetzungen vorgenommen werden müsste.

Haben Dich besondere Aktivitäten, Aktionen von Sportlern während des Shut-Downs beeindruckt?

Ich fand es schon ziemlich abgefahren, wie Jan Frodeno einen Homeoffice-Ironman durchgezogen hat, Respekt!

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