Kristina Vogel – ihre neue Welt

Langeweile? Kennt sie nicht. Die neue Welt von Kristina Vogel dreht sich rasant. Die ehemalige Beste der Besten im Velodrom, Doppel-Olympiasiegerin und elffache Weltmeisterin, 2018 Zweite bei der Wahl zur „Sportlerin des Jahres“ in Baden-Baden und dort als „Vorbild“ mit dem Sparkassenpreis ausgezeichnet, ist nicht zu stoppen. Ehrungen, Talkshows, Motivations-Vorträge, Sponsoren-Termine, Co-Kommentatorin und Ehrenämter – demnächst womöglich noch die politische Laufbahn im Erfurter Stadtrat. Auf den Wahltag am 26.Mai freut sie sich. Erfurter Stadtbotschafterin ist sie ja bereits. „Doch, doch, ich habe noch den Überblick. Aber natürlich ist viel los gerade. Mehr als früher. Aber es macht halt Spaß und ich motiviere schon gern“, fasst Vogel rasch zusammen. „Ich muss aber schauen, wie ich es Drumherum basteln kann, damit die Therapie nicht leidet“, fügt sie hinzu.

„Ich habe überall ein bisschen die Finger drinne“, sagt Kristina mit ihrem schnellen Zungenschlag. Damit meint die 28-jährige Thüringerin, die im vergangenen Juni nach einem brachialen Trainingsunfall aus dem Spitzensport-Leben gerissen wurde und die Rennmaschine mit dem Rollstuhl tauschen musste, ihren Posten beim Radsportweltverband in der Athletenkommission Bahn und als Athletensprecherin des BDR. Botschafterin der nächsten Bahn-Weltmeisterschaft im nächsten Februar in Berlin ist sie sowieso, eine von drei Radsportweltmeisterschaften 2020 in Deutschland (Bahn, MTB und Hallenradsport), und gleich ermahnt Vogel engagiert: „Vergesst nicht die Junioren-Bahn-WM im diesem August!“

2019 ist ihr „Jahr der ersten Male“, wie die vom siebten Brustwirbel abwärts Querschnittsgelähmte es nennt. „Herausfinden, was ich so alles kann und wie es funktioniert.“ Das ist immer noch der Status Quo. Manchmal schleppend. „Erst später denkt man: Das kam doch schon richtig gut! Es ist das Jahr, in dem ich mich neu finden muss! Dinge, die mich im Dezember noch genervt hatten, stören mich mittlerweile gar nicht mehr.“ Der Umbau des Hauses in Erfurt befindet sich noch immer in der Planungsphase. Kristina Vogel sammelt Tipps, die sie dann auf ihre Bedürfnisse im Haus „adaptieren“ will.
 
Zusammen mit ihrem Freund Michael Seidenbecher, wie sie angestellt bei der Bundespolizei, lebt die ehemalige Weltklasse-Athletin aktuell in Kienbaum/Brandenburg und trainiert im dortigen Trainingszentrum täglich ihre Muskulatur. Dreimal pro Woche fährt sie nach Berlin zur extrem anstrengenden Anschluss-Reha. „Das macht mich noch richtig kaputt“, sagt sie und lacht.

Mit dem „Auto-mobil“ kehrte ein Stück Unabhängigkeit zurück. Kristina Vogel gelingt es nun ohne Hilfe vom Rollstuhl in ihr kleines Auto umzusteigen und ihren Carbon-Rolli selbst ein- und auszuladen. „Ich fahre seitdem ich 17 bin Auto. Das war für mich sehr wichtig. Es ist halt schwer, wenn du jemanden auf der Straße ansprechen musst, ob er helfen kann. Jetzt parke ich und kann aussteigen, das ist schon schön“, ist sie stolz und erinnert sich kichernd; „Auf die Raucher war aber eigentlich immer Verlass, normal stand immer jemand rauchend draußen vor der Reha und konnte beim Ausladen helfen.“

Stolz ist die Vorzeigekämpferin auf ihre ganz persönliche, einzigartige Barbie. Das Unikat im Rollstuhl, mit ihrem Antlitz und den berühmten roten Schnürpumps von der ersten Pressekonferenz nach dem verheerenden Sturz, wurde ihr als „Preis für inspirierende Frauen“ verliehen. „Barbie“ Kristina als Vorbild und Anreiz für Mädchen, ihren eigenen Traum zu leben.
Und dann bricht es stolz aus der so Geehrten heraus: „Hallo, ich hab‘ eine Barbie, die aussieht wie ich! Das ist ein Traum, den man sich als Mädchen nicht erlaubt hat zu träumen. Und es zeigt auch den Respekt für mich und meine Sache, die ich nach außen trage. Mein Kind kann dann später mal sagen: Guckt, das ist die Mama! Das ist dann das Geilste im Kindergarten. Wer hat schon die Mama als Barbiepuppe“, womit wiederum klar wäre, dass die Familienplanung irgendwann einmal ihren Lauf nehmen wird.

Mit großer Vorfreude blickt die Erfurterin aber auf den 26. Mai 2019 – der Urnengang. Sie selbst hat noch keine Wahl verpasst, gab als Weltklasse-Athletin ihre Stimme meist per Briefwahl ab. Von ihrem ehemaligen Dienstherr Thomas de Maizière holte sie sich in einem lockeren Gespräch Tipps für den Wahlkampf. „Die verrate ich natürlich nicht“, schmunzelt sie beim Gedanken an das Gespräch auf Augenhöhe mit dem früheren Innenminister. Mit über 95 Prozent war die Parteilose von der CDU auf Listenplatz zwei gewählt worden. Und sie nimmt ihre Aufgabe sehr ernst. „Bislang konzentrierte sich bei meinem Job in der Athletenkommission alles um Sport. Jetzt dreht sich das meiste um Sicherheit und Ordnung, Kultur, Schulen und Straßenbau, Barrierefreiheit und Inklusion“, sagt sie, leitet auf die Europa-Abstimmung über und ruft zur Stimmabgabe auf. Ihre Botschaft kann man auf dem Sweatshirt ablesen: MEGA - Make Europe Great Again.
„Motivieren ist mir eine Herzensangelegenheit“, sagt sie. Strahlt und fährt davon.

Bild: Privat

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