Als Lea Sophie Friedrich nach dem Keirin-Finale vom Rad stieg ließ sie erst einmal Dampf ab: Die 24-Jährige hatte gerade zum vierten Mal in Folge den EM-Titel in dieser Disziplin gewonnen. Es war ihre zweite Goldmedaille nach dem Titelgewinn im Teamsprint zu Beginn der Bahn-Europameisterschaft.
„Also ich muss das jetzt mal loswerden,“ sagte sie. „Ich gewinne hier zwei Goldmedaillen und einmal Silber. Darauf bin ich stolz und muss mich keiner Kritik aussetzen.“ Die Ausnahme-Athletin hatte sich geärgert, dass ihr Sprint-Silber in einigen deutschen Medien als Niederlage „verkauft“ wurde, weil sie den 2023 gewonnenen Titel an die britische Weltmeisterin Emma Finucane verloren hatte. Von Scheitern war sogar die Rede, weil sie den Titel nicht verteidigen konnte, sondern Silber gewann. „Also das brauche ich nun wirklich nicht.“
Während zu Hause in Deutschland das Fernsehen flächendeckend sämtliche Wintersportarten präsentierte und die Handballer zur EM im eigenen Land aufliefen, kämpfte Europas Rad-Elite in den Niederlanden, genauer im Omnisport-Velodrom von Apeldoorn, um die ersten internationalen Medaillen im Olympia-Jahr. Und wieder einmal waren es die Sprinterinnen, die mächtig abräumten und für zwei Drittel der deutschen Medaillen verantwortlich zeichneten. Von den jeweils drei Gold-, Silber- und Bronzemedaillen gewann die Tempo-Fraktion zweimal Gold, je zweimal Silber und Bronze.
Lea Sophie Friedrich war die erfolgreichste deutsche Athletin und übertraf die im Vorfeld eher niedrig gehandelten Erwartungen. „Wir präsentieren uns noch nicht in Höchstform. Die Olympische Saison hat gerade begonnen,“ stapelte Bundestrainer Jan van Eijden im Vorfeld tief. Doch die Teamsprinterinnen sind die größten Hoffnungsträger für Edelmetall in Paris und setzten in Apeldoorn eine Duftmarke nach der anderen: Lea Sophie Friedrich, Emma Hinze und Pauline Grabosch, alle beim RSC Cottbus in Brandenburg zu Hause, holten sich zum dritten Mal in Folge EM-Gold.
„Wir kamen hierher, um zu gewinnen, aber selbstverständlich ist das nicht. Heute war die erste Etappe auf dem Weg nach Paris, Olympia haben wir immer im Kopf“, freute sich Emma Hinze über die erfolgreiche Titelverteidigung. „Wir haben Gewohnheiten, einen festen Ablauf, vieles passiert, weil wir uns blind vertrauen. Wenn wir im Flow sind, macht es einfach nur Spaß,“ ergänzte Pauline Grabosch, die sich als Anfahrerin noch einmal steigern konnte und eine starke erste Runde in allen Läufen hinlegte.
Sich auf Erfolgen ausruhen, eine Medaille erst einmal gebührend feiern, das kennen Deutschlands flotte Bahnfahrerinnen nicht. Nur einen Tag nach dem Team-Erfolg traten Friedrich und Hinze zum Sprint-Turnier an. Es gab Silber und Bronze für Friedrich und Hinze. Während sich Hinze dann im Keirin mit dem Gewinn des kleinen Finales zufriedengeben musste, drehte Friedrich in ihrer Lieblingsdisziplin voll auf: Sie hat eine überragende Kondition, war in allen Läufen überragend, setzte sich meist schon in der vorletzten Runde an die Spitze und schlug ein so hohes Tempo an, dass die Konkurrentinnen Mühe hatten, überhaupt ihr Hinterrad zu halten. Was so mühelos aussah, war knallharte Arbeit.
„Dieses Rennen war ein Kampf gegen mich selbst. Es war ein Rennen, wo ich an meine Grenzen gestoßen bin. Kein Sieg ist selbstverständlich“, wollte sie die Erwartungen an die Olympischen Spiele nicht noch anfeuern. Acht Weltmeistertitel hat sie in der Eliteklasse seit 2020 erobert, genauso viele wie Emma Hinze und damit noch drei weniger als Kristina Vogel, die in ihrer Karriere elf WM-Siege feierte. Lea Sophie Friedrich kann diesen Rekord brechen. Aber vorrangig sind jetzt erst einmal die Sommerspiele. Nach Silber in Tokio wollen die Teamsprinterinnen in Paris ganz oben aufs Podest.
Und tatsächlich wird es eng in der Wohnung von Lea Friedrich, wo ihre Siegertrikots alle gerahmt an der Wand hängen. „Ich erfreue mich an ihrem Anblick, daran, was ich schon erreicht habe. Das ist so cool, das zu sehen. Und es gibt mir auch Motivation für das harte Training, das dazugehört, und die Zeit, die man opfert,“ sagt sie und weiß, dass sie sich nicht auf dem Erfolg ausruhen kann, will sie in Paris nach Gold greifen. Bis dahin sind es noch viele harte Trainingseinheiten, bei denen viel Schweiß fließt und das Laktat in die Höhe schießt, Schmerzen in den Beinen verursacht. „Wenn ich aber dann vor den Trikots stehe, weiß ich, dass sich das auszahlt.“ Für die nächste Wahl „Sportler des Jahres“ ist die deutsche Bahnrad-Elite jedenfalls besonders frühzeitig im Flow…
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